Auch dieses Jahr habe ich wieder beim boxyboy-Advendtskalender mitgemacht und sogar das beste Türchen abbekommen. Ich finde diese Adventskalender total schön, obwohl ich ja gar nicht auf Weihnachtskitsch und überzuckerte Storys stehe. Dieses Jahr war ich etwas spät dran und habe auf den letzten Drücker abgeschickt, weshalb die Geschichte auch keine Beta gesehen hat und einige Fehler aufweist. Es gibt sie etwas verbessert jetzt auch direkt hier zu lesen. Frohe Weihnachtstage.
Ein ganz normales Familienfest
Den ganzen Abend war Vincent durch die
Stadt gelaufen, auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für seinen
Freund. Es sollte etwas Besonderes sein, denn er wollte damit sein schlechtes
Gewissen beruhigen. Finn würde sich freuen, wenn er ihn einladen würde,
mit seiner Familie zu feiern. Aber abgesehen von Vincents Schwester und
seinen Eltern wusste niemand in seiner Familie, dass er schwul war. Und
wenn es nach ihm ging, sollte das auch so bleiben. Seufzend verließ
Vincent das Kaufhaus. Nach der Arbeit herzukommen, war keine gute Idee
gewesen. Er war erschöpft und was er Finn schenken sollte, wusste er
immer noch nicht.
Als er nach Hause kam, fand er die Wohnung leer
und dunkel vor. Finn war noch nicht zu Hause, obwohl Vincent am Freitag
sonst immer vor ihm da war. Da sein Magen knurrte, öffnete Vincent den
Kühlschrank und nahm eine Pizza aus dem Tiefkühlfach. Eigentlich hatte
er gehofft, dass Finn etwas zu Essen gekocht hatte, wie er es sonst auch
immer tat. Vielleicht war Finn ins Fitness-Studio gegangen. Damit hatte
er vor einigen Wochen wieder angefangen, obwohl Vincent fand, dass er
das gar nicht nötig hatte. Er setzte sich vor den Fernseher und zappte
sich durch das langweilige Programm. Erst eine Stunde später hörte er,
wie Finn die Haustür öffnete.
„Was sitzt du hier im Dunkeln?“, fragte Finn und schaltete das Licht ein.
Vincent zuckte die Schultern. „Wo warst du?“
Finn
seufzte schwer. „Lisa hat mir ihr Herz ausgeschüttet.“ Er zog seine
Jacke aus und setzt sich neben ihn auf das Sofa. Um ihn besser zu
verstehen, stellte Vincent den Fernseher leiser.
„Wieso hast du nichts zu Essen gekocht?“, frage Finn mit einem kritischen Blick auf seinen leeren Teller.
„Das machst du doch sonst immer. Ich hatte Hunger.“
„Ist es zu viel verlangt, dass du einmal im Monat auch was kochst?“ Finn verschränkte die Arme vor der Brust.
Wieso
er damit plötzlich ein Problem hatte, verstand Vincent nicht. Sonst
sagte er immer, dass er gerne kochte, und dass das was Vincent zustande
brachte sowieso ungenießbar war. Sie wohnten jetzt seit einem Jahr
zusammen und bisher hatte ihre Aufteilung der Haushaltsaufgaben
erstaunlich gut funktioniert. Doch heute schien Finn es auf Streit
anzulegen.
„Ich weiß nicht, was du für ein Problem hast. Soll ich dir schnell ein Baguette machen?“
„Nein.“
Vincent
richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher, wo ein mäßig
spannender Film lief. Seit einigen Tagen schien Finn nicht gut drauf zu
sein, und er beschloss ihn nicht weiter zu reizen.
„Wann fährst du
jetzt zu deinen Eltern?“, fragte Finn plötzlich. Vincent hatte es ihm
doch schon mehrfach gesagt, nie konnte er sich etwas merken.
„Am
dreiundzwanzigsten bis zum fünfundzwanzigsten.“ Er ahnte schon, dass
Finn jetzt wieder damit anfangen würde, dass er ihn nicht gefragt hatte,
ob er mitkommen wollte. Deswegen hatte er bereits ein schlechtes
Gewissen, aber er würde seine Meinung nicht ändern.
„Finn … jetzt sei doch nicht so!“
„Ich sag doch gar nichts.“
„Aber du denkst. Dann sag doch einfach, weshalb du sauer bist.“
Finn
wandte sich ihm zu, er sah müde aus, die dunklen kinnlangen Haare
windzerzaust. „Ich verstehe dich einfach nicht. Deine Eltern wissen es
doch. Hast du solche Angst davor, was deine Oma oder dein Onkel sagt,
wenn du mit mir ankommst? Schämst du dich für mich?“
„Du weißt genau,
dass das nicht so ist. Ich habe nun mal einfach keine Lust, dass sich
alles um mich dreht, und du würdest dich doch auch nicht wohlfühlen, ich
kenne doch meine Familie.“
Finn seufzte und auf einmal wurde sein Blick milder, er legte seine Hand auf Vincents Bein.
„Wenn du meinst. Ich fände es nur schön, wenn wir zusammen feiern könnten.“
„Ich
doch auch. Wenn du möchtest, komme ich früher zurück.“ Sanft küsste er
Finn auf die Stirn. Er wollte nicht, dass sie sich deswegen stritten.
Als
Vincent mit seinen Geschenken bepackt in der Tür stand, war Finn damit
beschäftigt, die Möbel im Wohnzimmer zu verrücken, was er ungefähr alle
zwei Monate tat.
„Ich fahre jetzt los“, sagte Vincent. Finn hatte ihn
nicht noch einmal gefragt, ob er mitkommen könnte, aber er wusste, dass
er dennoch etwas gekränkt deshalb war.
Nachdem er den Sessel vor das Fenster geschoben hatte, kam Finn zu ihm, blieb einen Schritt vor ihm stehen. „Dann bis bald …“
„Finn!“
Vincent zog ihn in seine Arme. „Ich komme in zwei Tagen wieder,
versprochen. Und ich habe dir dein Geschenk auf den Tisch gelegt, aber
noch nicht aufmachen! Jetzt hör auf, mir ein schlechtes Gewissen zu
machen.“
Mit seinen großen Rehaugen, die sagten, dass er nicht gehen sollte, sah Finn ihn an.
„Ich rufe dich nachher an, okay?“ Vincent küsste Finn auf seine vollen Lippen.
Als
er vor dem Haus stand, wäre er beinahe wieder umgekehrt. Wenn er vorher
gewusst hätte, dass es Finn so wichtig war, mit ihm Weihnachten zu
feiern, hätte er seinen Eltern nicht gesagt, dass er kommen würde. Aber
nun hatte er schon zugesagt, seine Schwester mit dem Auto mitzunehmen
und alle Geschenke eingekauft. Und wenn er jetzt nicht losfuhr, würde er
sicherlich in einen Stau geraten. Seufzend schaute er zum Fenster ihrer
Wohnung hoch, aber Finn war nicht zu sehen.
Sonst hatte Finn
immer gesagt, dass er Weihnachten nicht mochte, dass er die Dekorationen
in der Stadt hasste, dass er keinen Baum in ihrer Wohnung wollte, und
das ganze sowieso albern wäre. Letztes Jahr war nicht einmal die Frage
aufgekommen, ob sie zusammen zu Hause bleiben würde, denn Finn ging
normalerweise am vierundzwanzigsten zu seinen Eltern, was er auch morgen
wieder tun würde. Es war ja nicht so, dass er ihn ganz allein feiern
ließ, er hatte schließlich eine große Familie, drei Halbgeschwister und
zig Cousins. Bisher hatte er Finns Familie erst einmal getroffen, seine
Geschwister schienen kein Problem damit zu haben, dass er schwul war,
aber besonders nah waren sie sich auch nicht. Warum Finn Weihnachten auf
einmal so wichtig war, verstand Vincent überhaupt nicht.
Vincents
Schwester Clara wohnte auf halber Strecke zu seinen Eltern in einem
kleinen Ort, mit ihren zwei Kindern. Von ihrem Mann hatte sie sich vor
einiger Zeit getrennt. Als er auf ihr Grundstück fuhr, sah er seine
beiden Nichten bereits mit Mantel und Mütze und gepackten Koffern vor
dem Haus stehen. Sie waren vier und sieben Jahre alt und als er auf sie
zuging, sah er in ihren Augen die sehnsuchtsvolle Erwartung auf
Weihnachten. Sie strahlten und winkten und er umarmte beide ganz fest.
Im Auto waren die Mädchen schnell eingeschlafen, seine Schwester neben ihm war wohl froh, für einen Moment ihre Ruhe zu haben.
„Ich
hoffe, Onkel Paul betrinkt sich nicht wieder so, wie letztes Jahr“,
sagte sie. Das hoffte Vincent auch, denn wenn Paul betrunken war, neigte
er dazu, jeden anzugrabschen und Streit zu stiften. Eine Weile
unterhielten sie sich darüber, was sie gemacht hatten, seit sie sich das
letzte Mal gesehen hatten.
„Warum ist Finn eigentlich nicht mitgekommen?“, fragte sie plötzlich, als Vincent gerade auf die Autobahn fuhr.
Einen
Moment wusste er nicht, was er antworten sollte, wurde durch den
Verkehr abgelenkt und war sich mit einem Mal selbst nicht mehr sicher,
was eigentlich der Grund war.
„Hast du etwa immer noch Angst, sie
könnten ein Problem damit haben? Meinst du, Oma bekommt deswegen einen
Herzinfarkt?“, fragte sie spöttisch.
Vincent fand, dass das gar nicht
so abwegig war. „Darum geht es doch überhaupt nicht“, sagte er und
bevor er noch etwas sagen konnte, waren die Kinder aufgewacht und
verlangten nach Apfelsaft und Keksen.
Wie jedes Jahr lief
seine Mutter hektisch durchs Haus und war der Ansicht, dass sie es nie
schaffen würde, bis morgen alles vorzubereiten. Sie wollte immer, dass
alles perfekt aussah. Der Weihnachtsbaum reichte beinahe bis zur Decke
und war mit den Kugeln seiner Urgroßmutter geschmückt, genauso wie
früher. Im Wohnzimmer hatte sie Spitzendecken auf den Tisch gelegt, aus
der Küche roch es nach Keksen. Vincent mochte diesen Geruch, wenn er
nach Hause kam. Für einen Moment fühlte er sich dann wie ein Kind, um
dann schmunzelnd zuzusehen, wie seine Schwester und seine Mutter darüber
stritten, wenn seine Schwester ihrer Mutter Arbeit abnehmen wollte.
Doch er wusste auch, dass es nicht immer so friedlich blieb.
Sein
Cousin Alex war bereits eingetroffen, er war fünf Jahre jünger als
Vincent und sie hatten früher nie viel miteinander zu tun gehabt. Eine
Weile unterhielten sie sich darüber, was im letzten Jahr bei ihnen
passiert war. Eigentlich war Alex nett und hatte einen offenen
Charakter, aber viel gemeinsam hatten sie nicht. Alex, lebte in einer
Kleinstadt, ging jeden Monat ins Fußballstadion und war seit fünf Jahren
verheiratet, und er schien nicht danach zu streben, Karriere zu machen.
Was Vincent an sich nicht schlimm fand, nur dass er nicht wusste, was
er Alex erzählen sollte, wenn er Finn nicht erwähnen wollte.
„Und keine Freundin in Sicht?“, fragte Alex, nachdem sie bereits einige Gläser Rotwein getrunken hatten.
„Nein“, sagte er nur und hoffte, dass Alex es dabei beließ.
Seine
Mutter lief währenddessen immer noch durchs Haus und schien gestresst
zu sein. Seine Schwester zwang sie irgendwann, sich hinzusetzen.
„Komm, Mama, ich weiß nicht, was du noch alles machen willst. Es sieht doch gut aus“, sagte sie.
Sein
Vater lächelte nur und zog an seiner Pfeife. Seine beiden Enkelkinder
saßen rechts und links neben ihm und warteten darauf, dass er ihnen eine
Weihnachtsgeschichte vorlas. Mit seinem weißen Bart sah er beinahe aus,
wie ein Weihnachtsmann, fanden die Kinder.
„Kriegen wir jetzt schon Geschenke?“, fragte Emma.
„Nein, du Dumme. Morgen“, sagte ihre Schwester und sie mussten alle lachen.
Als
Vincent ins Bett ging, versuchte er Finn anzurufen, aber der nahm nicht
ab. Die Gewissheit, dass Finn immer noch sauer auf ihn war, ließ ihn
nicht einschlafen. Sie waren jetzt drei Jahre zusammen und sie hatten
sich erst ein einziges Mal richtig gestritten. Er war eifersüchtig
gewesen, weil Finn immer noch mit seinem Ex befreundet war. Aber das war
auch schon wieder zwei Jahre her.
Eigentlich war er unheimlich
froh, dass er Finn gefunden hatte. Vorher hatte er nie so eine Beziehung
geführt, wo alles so gut passte. Vielleicht gab er sich nicht mehr
genug Mühe, seit sie zusammen wohnten und Finn ebenfalls nicht. Für ihn
war klar, dass er mit Finn auch den Rest seines Lebens verbringen
wollte, er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich irgendwann
trennten. Vincent starrte an die Wand, wo seine Mutter alte Bilder von
seiner Schwester aufgehängt hatte, mit Tusche gemalt.
Es
erinnerte kaum noch etwas an sein Jugendzimmer. Nur das Bett war
dasselbe, aber das erleichterte ihm den Schlaf auch nicht. Er war es
nicht gewohnt, dass es so still war. Unter seinem Schlafzimmer zuhause
verlief eine große Straße, ohne den Verkehrslärm fehlte etwas. Obwohl es
schon spät war, versuchte er noch einmal, Finn anzurufen, aber wieder
nahm er nicht ab. Vielleicht traf er sich mit seiner besten Freundin um
sich ihre Männerprobleme anzuhören.
Vielleicht erzählte er ihr
auch gerade, wie gemein es von Vincent war, ihn nicht mitzunehmen.
Irgendetwas musste er sich einfallen lassen, damit Finn begriff, wie
viel er ihm bedeutete.
Schon am Vormittag kamen die
anderen Gäste. Da sein Onkel und seine Cousinen in Süddeutschland
wohnten, blieben sie immer ein paar Tage. Seit er klein war, war es
Tradition, dass sie alle zusammen feierten, und meistens war Weihnachten
auch die einzige Gelegenheit, wo er seine Verwandten zu Gesicht bekam.
Mit seinem Onkel Paul waren seine beiden Cousinen Charlotte und Vanessa
eingetroffen, beide um die zwanzig.
Charlotte und Vanessa waren
Zwillinge, aber sie waren anhand ihrer unterschiedlichen Haarfarben -
rot und blond - immer gut auseinanderzuhalten, abgesehen davon, dass sie
ganz unterschiedliche Persönlichkeiten hatten.
Nachdem sie sich
alle begrüßt hatten, versuchte Vincent seine Mutter davon abzubringen,
schon wieder die Tischdecken zu bügeln. Clara hatte bereits die Regie in
der Küche übernommen, und bereitete das Mittagessen zu, während der
Braten für den Abend bereits im Ofen war.
Sie waren kaum dazu
gekommen, sich zu setzen, als es erneut klingelte. Diesmal war es seine
Tante mit ihrem sechzehnjährigen Sohn Leon. Über die Veränderungen bei
Leon wunderte sich Vincent. Seit letztem Weihnachten war Leon mindestens
fünfzehn Zentimeter gewachsen, und auch seine Gesichtszüge hatten sich
verändert, er sah viel erwachsener aus. Er hatte keine langen Haare mehr
und schien sie auch gekämmt zu haben. Nur seine Klamotten hatten sich
nicht verändert: Kapuzenpullover und weite Hosen. Leon musste sich von
den anderen Fragen anhören, wie es denn in der Schule war und Vincent
dachte, dass ihn diese Fragen in dem Alter immer genervt hatten. Als
wenn es in dem Alter nichts Wichtigeres geben würde, als Schule.
Leon
schien jedoch sehr gute Laune zu haben und die Erwachsenen sogar zum
Lachen zu bringen. Er hatte sich zu einem richtigen Charmeur entwickelt,
und flirtete sogar ein wenig mit Charlotte, obwohl sie sechs Jahre
älter war als er. Bestimmt war er beliebt bei den Mädchen und insgesamt
ziemlich cool, wie Vincent zugeben musste. Er selbst war in diesem Alter
bei weitem nicht so selbstgewusst gewesen.
Während er auf das
Mittagessen wartete, hatte er an die dreißig Wallnüsse gegessen. Er
knackte eine nach der anderen und warf sie sich in den Mund, er konnte
gar nicht mehr damit aufhören. Sein Vater setzte plötzlich die kleine
Emma auf seinen Schoß, der er zuvor Märchen vorgelesen hatte.
„Onkel Vincent?“, sagte Emma mit ihrem hohen Stimmchen, „was ist mit Schneewittchen passiert?“
„Lass mal sehen …“, er nahm ihr das Märchenbuch aus der Hand.
Kurz
vor dem Essen trafen dann auch die letzten Gäste ein, seine Oma und die
Schwester seiner Oma, die alle Tante Ilse nannten. Tante Ilse war schon
über achtzig, hatte aber immer einen lockeren Spruch drauf, während
seine Oma eher konservativ war. Auch ein Grund, warum er Finn nicht
mitgebracht hatte. Seine Oma war außerdem sehr religiös und hatte ihm
als Kind immer aus der Bibel vorgelesen. Für sie war schon Sex vor der
Ehe eine Sünde. Tante Ilse dagegen hatte eine bewegte Jugend erlebt und
wenn sie betrunken war, erzählte sie gelegentlich von ihren
Liebschaften. Sie beschwerte sich immer, dass Charlotte und Vanessa nie
männliche Gesellschaft mitbrachten.
Gegen eins saßen sie endlich
alle am Tisch, Clara servierte eine Suppe. Vincent versuchte nicht zu
viel zu essen, damit noch genug von dem Braten in seinen Magen passte,
auf den er sich seit Tagen freute. Neben ihm hatte sein Cousin Alex
Platz genommen, auf der anderen Seite Clara. Sie unterhielten sich eine
Weile über ihre Jobs, dann kamen sie auf Claras Scheidung. „Ich bin so
froh, dass ich diesen Mann los bin“, sagte sie.
„Und kein neuer Mann in Sicht?“, fragte Alex.
„Also …“
Von
einem neuen Freund seiner Schwester wusste Vincent bisher noch nichts,
umso überraschter war er, als sie nun erzählte, dass sie jemanden bei
einem Tanzkurs kennengelernt hatte.
„Und was ist mit dir?“, wandte
Ben sich an ihn. „Du bringst nie jemanden mit, du ewiger Junggeselle.
Man könnte schon meinen, du bist schwul.“
Vincent spürte, wie er rot
wurde. Er schämte sich nicht dafür, schwul zu sein, nicht für Finn oder
seine Beziehung. Aber plötzlich hatte er das Gefühl, dass ihn alle
ansahen.
„Ich bin mit jemandem zusammen“, sagte er.
„Mit einem
Mann?“, fragte Alex, er wusste wohl selbst nicht, ob er die Frage ernst
meinte, aber bevor Vincent noch etwas sagen konnte, antwortete Clara
für ihn.
„Ja ist er. Mann, Vincent. Ist das so schwer?“
„Ich habe
es doch gesagt, mein Vater meinte immer, es stimmt nicht.“ Alex sah ihn
nicht entsetzt an, eher belustigt. Aber obwohl Vincent nicht aufsah,
spürte er, dass auch alle anderen am Tisch es mitbekommen hatten.
„Was ist los?“, fragte seine Oma, die etwas schwerhörig war.
„Er ist schwul“, brüllte Tante Ilse. „Dann bringt vielleicht endlich mal jemand, einen hübschen Mann mit.“
„Tante Ilse!“, rief seine Mutter.
Immerhin hatte seine Oma keinen Herzinfarkt bekommen.
Während
Vincent noch hoffte, dass sich das Gesprächsthema bald änderte und ihn
nicht mehr alle anstarrten, erhob plötzlich Leon seine Stimme.
„Ich
bin auch schwul“, sagte er. Und dann redeten plötzlich alle aufgeregt
durcheinander, Leon grinste und wartete ganze fünf Minuten, bis er
sagte, dass es nur ein Scherz gewesen war. Er zwinkerte Vincent zu und
Vincent konnte nicht anders, als ebenfalls zu grinsen.
Seine
Verwandten schienen nicht besonders geschockt, von seinem Outing, wenn
es aber auch noch Leon betroffen hätte, dann wären sie wohl doch
entsetzt gewesen. Irgendjemand musste ja den Stammbaum weiterführen.
„Ich bin auch schwul“, sagte Emma. Und da mussten endgültig alle lachen.
Trotzdem beeilte Vincent sich, seiner Schwester in der Küche zu helfen.
„War das nun so schwer?“, fragte sie. Er zuckte die Schultern.
„Tut mir leid, aber ich konnte das nicht mehr mitansehen, dass du dich das nicht traust.“
Vincent
war sich noch nicht sicher, ob er es gut fand, dass es raus war und ob
er sauer auf seine Schwester sein sollte. Das war genau das, was er
nicht gewollt hatte, dass jetzt alle über ihn redeten. Andererseits war
diese Geheimnistuerei auch anstrengend gewesen.
Seine Mutter
jedenfalls schien es nicht schlimm zu finden. Sie hatte schon gelassen
reagiert, als er es ihr mit achtzehn gesagt hatte. Vielleicht hatte sie
es auch vorher schon geahnt. Sie überprüfte ihren Braten und tätschelte
seinen Arm.
„Dann bring doch Finn nächstes Jahr mal mit“, sagte sie. „Ich kriege ihn so selten zu sehen.“
Während
seine Oma mit den Kindern in der Kirche war, legten die Erwachsenen die
Geschenke unter den Baum. Weder seine Oma, noch Onkel Paul hatten noch
etwas zu seinem Outing gesagt, auch wenn er sicher war, dass sie darüber
reden würden, wenn er nicht da war.
Wenn er Finn erzählte, dass
es so einfach gewesen war, würde er sicherlich noch wütender auf ihn
sein. Und dann kam ihm der Gedanke, dass er ihn fragen konnte, ob er
morgen kommen wollte. Er musste es einfach machen, er wollte jetzt, dass
Finn da war. Vorher hatte er sich nicht vorstellen können, dass Finn
sich überhaupt wohl fühlen würde, unter seinen Verwandten. Sie würden
ihn sicher ausfragen und anstarren, wie sie es immer taten, wenn jemand
Neues mitgebracht wurde. Aber das war ihm jetzt auch egal. Finn musste
nur noch ans Telefon gehen. Er ließ es lange klingeln, bis er endlich
Finns Stimme hörte.
„Ich versuche die ganze Zeit, dich anzurufen.“
„Hab
ich nicht gehört“, sagte Finn. Er konnte ihm kaum verstehen, im
Hintergrund waren Geräusche wie von einer Explosion zu hören.
„Wo bist du denn?“, fragte Vincent, ebenfalls laut.
Finn sagte irgendwas, das er nicht verstand. Dann wurden die Geräusche leiser.
„Zu Hause“, sagte Finn dann.
„Wieso bist du zu Hause?“ Er hätte doch um diese Zeit schon längst bei seinen Eltern sein müssen.
„Ich wollte einen Film gucken.“
„Aber wieso bist du nicht …“
„Ich
wollte nicht zu meinen Eltern. Ich hasse es, jedes Jahr ist es das
gleiche. Sie streiten sich, meine Geschwister streiten sich, meine
Mutter betrinkt sich …“
„Wieso hast du mir das nicht gesagt?“ Vincent
konnte die Vorstellung, dass Finn jetzt allein war kaum ertragen. Wenn
er das gewusst hätte, dann hätte er doch auch zu Hause bleiben können.
„Ich wollte nicht, dass du denkst, du musst mich mit zu deinen Eltern nehmen. Es ist deine Sache und ich hätte dir nicht …“
„Nein.
Ich habe dich angerufen, um dir zu sagen, dass ich will, dass du
herkommst, eigentlich morgen, aber du kannst auch jetzt kommen. Ich hole
dich vom Bahnhof ab.“
Ein bisschen hatte er Finn noch überreden
müssen, aber dann war er einverstanden gewesen und zwei Stunden später
sah Vincent ihn aus dem Zug aussteigen. Er hatte im warmen Auto gewartet
und nun stand Finn da, mit seiner Tasche, in dem dicken Parka, im Licht
einer Laterne, die Schneeflocken umtanzten ihn und er sah aus wie eine
Erscheinung. Vincent stieg aus dem Auto und ging auf ihn zu. Er hatte
das Gefühl, dass er sich noch nie so gefreut hatte, Finn zu sehen.
Er
umarmte ihn ganz fest und küsste ihn auf die kalten Lippen. Erst als
der Schnee in seinem Haar schmolz und ihm ins Gesicht lief, ließ er Finn
los. Finn lächelte und Vincent wusste, dass wieder alles in Ordnung
war, zwischen ihnen.
„Deine Familie reißt mir auch sicher nicht den Kopf ab?“, fragte Finn.
„Nein. Dafür sorge ich schon.“
Finn
lag halb auf ihm, sein Körper war heiß und wärmte Vincent, wie immer.
Sie hatten das Licht bereits gelöscht, aber Vincent konnte noch nicht
schlafen. Diesmal störte ihn die Stille nicht, vielmehr wollte er dieses
Gefühl noch länger genießen.
„Deine Familie ist nett“, sagte Finn.
Sie waren ein wenig überrascht gewesen, als er Finn mitbrachte, aber
nicht unfreundlich. Wie er erwartet hatte, hatten sie ihn ausgefragt,
was er beruflich machte, wie sie sich kennen gelernt hatten und alles.
Tante Ilse hatte ihm lauter Komplimente gemacht, wie gut er aussah und
Onkel Paul hatte gemeint, dass man ihm gar nicht ansah, dass er schwul
war, was vielleicht auch ein Kompliment sein sollte.
Finn hatte
das Geschenk von Vincent ungeöffnet mitgebracht und nachdem er sich
versichert hatte, dass es etwas Jugendfreies war, hatte er es geöffnet,
als alle ihre Geschenke auspackten.
„Eigentlich war das ja als
Entschuldigung gedacht …“, hatte Vincent schmunzelnd gesagt. Aber das
war egal, denn ein gewisser Eigennutz verband sich auch mit dem
Geschenk. Es war ein Gutschein für eine einwöchige Reise. Sie waren
schon ewig nicht mehr zusammen in Urlaub gewesen, Finn hatte nicht so
viel Geld wie er und wollte meistens nichts von ihm annehmen. Aber
diesmal, als Weihnachtsgeschenk, schien er es akzeptieren zu können.
„Weißt
du“, sagt Finn in die Dunkelheit, „ich hatte kein Recht sauer auf dich
zu sein. Ich wusste nur, dass ich mich ärgern würde, wenn ich wieder bei
meinen Eltern feier. Letztes Jahr habe ich mir geschworen nicht mehr
hinzugehen. Sie streiten sich immer nur alle.“
„Meine Verwandten streiten sich auch mal. Und Onkel Paul betrinkt sich immer.“
„Aber er zündet dabei nicht den Baum an, oder prügelt sich mit deinem Vater.“
Dass
es bei seiner Familie so schlimm zuging, hatte ihm Finn nie so direkt
gesagt. Vincent wusste zwar, dass seine Kindheit nicht immer glücklich
gewesen war, aber dass er nicht einmal mehr Weihnachten bei seiner
Familie verbringen wollte, erschütterte ihn dennoch.
„Als ich
klein war habe ich mir immer gewünscht, eine normale Familie zu haben“,
sagte Finn. „Ich wollte einmal ein ganz normales Weihnachten. Mit einem
richtigen Baum, nicht aus Plastik, mit Geschenken, die ich mir wirklich
gewünscht habe, und dass sich niemand streitet.“
„Ach Finn.“ Vincent drückte ihn an sich.
„Genauso ist es bei deiner Familie. Genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Danke.“
„Du kannst ab jetzt immer mitkommen. Jedes Jahr.“
Finn
strahlte ihn an. Wenn er lächelte hatte er immer etwas Kindliches an
sich. Vincent war gerührt, dass es ihm so viel bedeutete, richtig
Weihnachten zu feiern und dass er es ihm nun ermöglicht hatte. Finn
kuschelte sich an ihn und drückte ihn so fest, dass Vincent kaum noch
Luft bekam. „Ich liebe dich“, sagte er.
„Ich dich auch.“
Als Vincent schon beinahe eingeschlafen war, fiel ihm etwas ein. „Krieg ich eigentlich noch ein Geschenk?“, fragte er.
„Das ähm … kriegst du morgen, wenn wir zu Hause sind“, nuschelte Finn.
„Nicht jugendfrei?“
„Nein.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://celiajansson.blogspot.de/p/blog-page_16.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.